Schuld, Scham, Angst: Wenn die Wut verstummt
Von Sabine Schröder
Mein eigenes Schweigen
Wenn ich in mich hinein höre, finde ich das Verbot meiner Kindheit: Wut war nicht erlaubt, statt Verständnis erntete ich Vorwürfe. Schnell war ich schuld – ich erinnere mich nicht, dass meine Gefühle, meine Wut, jemals okay gewesen wären. So lernte ich, sie herunter zu schlucken und gegen mich selbst zu richten. Sich schuldig zu fühlen, ist eine Form von Kontrolle: Sie gab mir das trügerische Gefühl, die Situation im Griff zu haben – statt mich dem ausgesetzt zu fühlen, nicht gesehen oder beschützt zu werden. Sich selbst die Schuld zu geben, fühlte sich sicherer an, als die Verantwortung bei denen zu lassen, die mich hätten beschützen sollen.
Heute, wenn Zorn in mir aufsteigt, erstarre ich in der Regel. Ein Teil in mir verstummt, ein anderer ringt darum, „das Gesicht nicht zu verlieren“. Als ginge es um alles.
Handlungsspielräume: Was es braucht
Der erste Schritt ist Anerkennung. Anerkennung dafür, dass ich damals keine Unterstützung hatte, um ein stabiles „Ja“ zu mir selbst zu entwickeln. Anerkennung für den verunsicherten Teil in mir – und die Bereitschaft, ihn ins Herz zu schließen. Es erfordert Mut, Schuldgefühle zu spüren, Scham wahrzunehmen und zu fühlen, die Angst vor Ablehnung nicht weg zu drängen.
Heilung durch Bezeugen
Kein Wegatmen, kein Mantra, keine Ablenkung. Für mich hilft nur eines nachhaltig: Bezeugen. (Mit-)Fühlen. Das sind die Schlüssel, um alte Muster zu überschreiben – wie eine neue Matrix, die uns zurückführt zu unserem lebendigen, fühlenden Kern.
Wut ist dein Gefühl – und deine Verantwortung
Es ist in Ordnung, Mut und „Schwung“ zu brauchen, um Wut in Kontakt zu bringen. Doch eines ist klar: Es ist deine Wut. Die Erwartung, dass andere sie für dich „lösen“, ist illusorisch.
Gleichzeitig stellt sich die Frage: Wie gehen wir als „Wutempfänger:innen“ damit um? Wut macht sichtbar, was sonst verborgen bleibt – Not, Verletzlichkeit, den Wunsch nach Verbindung. Vielleicht reicht es, sie zunächst einfach anzuerkennen. Sie an uns heran zu lassen. Uns berühren zu lassen, ohne sofort zu handeln – außer zu atmen und präsent zu bleiben. Eine innere Haltung zu entwickeln von: „Ich sehe, du bist wütend!“. Und anwesend zu bleiben, mit sich selbst in Verbindung…
Eine Einladung zum Wachstum
Es braucht nicht mehr als die Bereitschaft, immer wieder zu üben – und Menschen, die diesen Raum mit uns teilen. Mit all den Stolpersteinen, die uns fragen: Wie ernst ist es dir wirklich?
Ich freue mich auf jeden Menschen, der mit mir diese Spielräume erkundet – mit Neugier, Geduld und dem Mut, sich auf das Abenteuer des Fühlens einzulassen. Denn hier, in dieser Verwundbarkeit, beginnt echte Verbindung.